Harvard – Konzept: Ein Weg zur besseren Lösungsfindung

Vielleicht kennst Du dieses Beispiel: Die Mama kauft eine Orange und sowohl Moni als auch Fritzi brauchen sie uuunbedingt. Moni und Fritzi fangen an zu verhandeln und versuchen, den jeweils anderen davon überzeugen, dass sie die Orange viel viel dringender benötigen und scheitern. Da beide nicht bereit sind, nachzugeben und die Mama langsam genug davon hat, schneidet sie die Orange in zwei Hälften und gibt sowohl Moni als auf Fritzi eine Hälfte… Leider sind nun weder Fritzi, noch Moni mit der Lösung (= Kompromiss) glücklich.

In diesem Beispiel hätte die Mama die Kinder fragen können, wozu sie jeweils die Orange benötigen. Fritzi wollte eine Orangenlimonade aus dem Saft machen, Moni benötigt die Schale für einen leckeren Kuchen… Mit dieser Information liegt doch plötzlich die Lösung auf der Hand, richtig? Die Schale der Orange wird abgeraspelt, Moni bekommt sie. Und die restliche Orange wird ausgepresst, den Saft bekommt Fritzi. So hat doch jeder bekommen, was er möchte. Jeder ist glücklich (und vielleicht hätte die Mama sogar ein paar Nerven gespart).

Mit einem derartigen Beispiel wurde mir vor knapp 20 Jahren das Harvard-Modell eingeleitet. Wie du merkst, habe ich es bis heute nicht vergessen (was vielleicht auch an meiner Allergie auf Orangen liegen mag). Doch was hat das mit dem Harvard-Prinzip zu tun?

Das Harvard-Konzept ist eine Methode der Konfliktlösung, die von Roger Fisher und William Ury an der Harvard Law School entwickelt wurde. Das Konzept basiert auf der Idee, dass Konflikte gelöst werden können, ohne dass eine der Konfliktparteien ihre Position aufgeben muss. Stattdessen wird eine Lösung angestrebt, von der beide profitieren (also eine Win-Win-Situation).

Die Kernelemente des Harvard-Konzepts umfassen:

  1. Trennung von Person und Thema: Häufig fällt es uns schwer, den eigenen Standpunkt zu äußern, ohne dass das Gegenüber sich angegriffen fühlt. Umgekehrt genauso. Wie schnell empfinden wir eine gewisse Ablehnung, oder gern auch Ärger, wenn der/die Andere uns sagt, dass sie da nicht zustimmt? Derartige emotionale Reaktionen sind menschlich und normal, führen allerdings häufig auch dazu, dass wir die Aussage auf uns beziehen. Eine etwas vereinfachte Grundeinstellung zum Gegenüber könnte hier helfen: Du bist OK, auch wenn wir unterschiedliche Meinungen haben. 🙂 Deine Grundeinstellung bestimmt bereits wesentlich, wie Du mit dem anderen kommunizierst und wie er/sie Deine Aussage aufnimmt.
  2. Fokussierung auf Interessen, nicht auf Positionen: Die meisten Menschen haben eine feste Position in einem Konflikt und verteidigen diese vehement. Das erlebst Du vermutlich auch recht häufig im Berufsalltag? Wir haben uns eine Lösung für etwas überlegt, tragen die Lösung vor und anstelle von Anerkennung kommen Gegenvorschläge oder Änderungswünsche. An dieser Stelle ist es durchaus hilfreich, wenn Du sowohl bei Dir selbst hinterfragst, warum Du diesen Lösungsvorschlag/Position hast. Was sind Deine Beweggründe, die diese Haltung begründen? Welches Interesse und welches Ziel (z.B. Sicherheit, Anerkennung, Einhaltung einer Vorgabe, Effizienterer Ablauf, Durchgängigkeit gewähren…) verfolgst Du? Sei hier bitte ehrlich Dir selbst gegenüber, denn jedes Bedürfnis hat seine Daseinsberechtigung (vor Allem der Wunsch nach Anerkennung/Akzeptanz). Der Fokus auf diese Interessenebene bei Dir selbst (und auch bei den Anderen) hilft Dir bei der Umsetzung des nächsten Punktes:
  3. Entwickeln von Optionen: Sobald die Interessen aller TeilnehmerInnen bekannt sind, kann man überlegen, wie sie stückweise auf Wegen erreicht werden, die den anderen Interessen nicht entgegenwirken (oder noch besser, auf diese auch gleich mit einzahlen). Je offener die Parteien hier sind, desto mehr kreativer können die Lösungen werden. Bevor man eine Entscheidung trifft, sollte man sich verschiedene Optionen überlegen. Wichtig an dieser Stelle ist, dass die genannten Vorschläge noch nicht bewertet werden, sondern nur gesammelt. Je mehr Optionen auf dem Tisch liegen, desto eher wird sich eine Lösung finden, die für alle Beteiligten akzeptabel ist. Gern kann auch eine bereits eingebrachte Option weiter gesponnen werden. 🙂
  4. Suche nach objektiven Kriterien: Nun geht’s an die Bewertung. Diese sollte nach der Optionssammlung erfolgen. Ein Grund dafür ist, dass jeder Teilnehmer vermutlich seine eigenen Bewertungskriterien (und deren Gewichtung) hat und somit auch alle Optionen anders bewertet. Um hier nicht die kreative Phase der Optionssuche zu sabotieren, in dem man sich selbst vorab schon in Debatten über anzusetzende Kriterien vertieft, erfolgt dies nun im Nachgang (und vor Allem separat). Eine Idee in der Optionssammlung ist ja auch, dass jede Partei für sich selbst auch nochmal reflektieren kann, ob die bisherigen Annahmen und Kriterien wirklich vollständig sind. Bei der Suche nach objektiven Kriterien ist es auch wichtig, dass jede Partei ihre Kriterien benennt und beschreibt, was genau sie damit meint.
  5. Verhandeln einer Vereinbarung: Im Besten Fall ergibt sich mit Ausdiskutieren der Kriterien eine gemeinsame Entscheidung, wie es nun weitergeht und die Bedürfnisse aller Beteiligten bestmöglich in der Lösung berücksichtigt sind. Allerdings gibt es auch die Möglichkeit, dass man nicht übereinkommt. Beispielsweise könnte es ja sein, dass ein Kunde im Gespräch den Preis und die Leistungen als regelrecht fix einstuft. Diese sind aber nicht für den Lieferanten erfüllbar. In diesem Fall ist die gemeinsame Lösung unmöglich. Und auch das ist eine Option! Doch wie geht es dann weiter? Neben Deinen Zielen und Interessen solltest Du Dich auch auf diese Möglichkeit vorbereiten. Was ist Deine Beste Alternative zu einem nicht erreichten Verhandlungsergebnis (BATNA – Best Alternative To Non-Agreement)? Diese Optionen solltest Du Dir sehr bewusst machen. Falls diese schwach sind, bietet es sich auch an, im Vorfeld an ein derartiges Gespräch diese zu verbessern. Beispielsweise: Du möchtest eine Gehaltserhöhung, doch Dein Chef kommt Dir nicht entgegen. Was für Alternativen hast Du? Die erste: es bleibt, wie es ist. Aber evtl. Hast Du auch nach neuen Jobs gesucht? Oder je nach Grund für die fehlende Gehaltserhöhung ist es vielleicht auch möglich, die eigenen Stunden zu reduzieren? All diese Alternativen gilt es herauszuarbeiten, um für diesen „Worst Case“ vorbereitet zu sein.

Ich habe das Harvard-Konzept vor langer Zeit im Rahmen der Verhandlungsführung kennen gelernt. Ich muss gestehen, dass ich im Anschluss irgendwie begonnen habe, jede Diskussion über weiteres Vorgehen als Verhandlung für mich innerlich zu deklarieren. Denn das Muster oben bietet sich nicht nur bei der nächsten Gehaltsverhandlung an, oder bei Kundenverhandlungen, sondern auch bei nahezu allen anderen Lösungsfindungen. Sie setzen jedoch ein wichtiges Element voraus: gegenseitigen Respekt und Wertschätzung und in diesem Zusammenhang vor Allem Kommunikation auf Augenhöhe. Und spätestens an dieser Stelle wird vielleicht offensichtlich, dass diese Art der Lösungsfindung in erster Linie viel Übung benötigt. Wenn man es nicht gewohnt ist, seine eigenen Absichten aktiv zu hinterfragen (was sind meine Beweggründe? Welche Interessen/Ziele verfolge ich?), fällt dies zu Beginn ziemlich schwer. Auch die Trennung von Optionserarbeitung und Bewertung erfordert eine Menge Übung, da wir im Allgemeinen dazu neigen, schnell innerlich eine Bewertung zu haben (zumindest mal gut oder schlecht… das Verbalisieren erfolgt dann im Anschluss)… Diese Bewertung mal kurz zur Seite zu schieben erfordert Bewusstmachen (dass wir bewerten) und aktives innerliches Zurück stellen bis zur nächsten Phase. Alles schwierige und schwer greifbare Themen. Doch ich möchte Dich motivieren, es einfach auszuprobieren. Allein das Zuhören und das Versuchen, den Gegenüber zu verstehen, wird Deine Horizont erweitern und Dir dabei helfen, ein Thema wieder etwas besser zu verstehen.

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